Beitrag: Neutralität als Friedengarantie

Vorüberlegungen:

Der derzeit in der Ukraine herrschende Konflikt setzt sich unserer Meinung nach aus verschiedenen Ebenen und Problemen zusammen:

  • innerukrainischer Konflikt bezüglich einer Orientierung an Russland oder an „den Westen“
  • Konflikt zwischen EU/USA und Russland um wirtschaftliche Einflusszonen
  • geopolitischer Konflikt zwischen den USA bzw. der NATO und Russland

Daraus folgt ein immenser außenpolitischer Druck auf das Land, sich für eine „Seite“ entscheiden zu müssen.

Hinzu kommen Probleme innerhalb des Landes:

  • strukturelle Instabilität des politischen und wirtschaftlichen Systems
  • verbreitete Korruption im Land
  • Machtkämpfe zwischen den einflussreichen Oligarchen

Dies führt zu einer Entwicklung in der das Szenario eines „failed state“ nicht ausgeschlossen werden kann. Erschwerend für die Konfliktlösung wirken sich außerdem die unterschiedlichen Probleme der Regionen in der Ost- (Krieg, politische Isolation von Kiew, soziale und wirtschaftliche Probleme) und Westukraine (Krieg, soziale und wirtschaftliche Probleme, verschleppte Reformen, welche den Staat wieder handlungsfähig machen sollen) aus. Auch weitere Konflikte, wie die in Syrien, machen das Finden einer Verhandlungslösung zwischen den außenpolitischen Akteuren (Russland, EU, NATO, USA) komplizierter.

Lösungsansätze:

Alle diese Probleme und Konflikte müssen angegangen werden, um eine langfristig friedliche Entwicklung der Ukraine zu garantieren. Hierfür bieten sich unser Auffassung nach Entwicklungen in drei Phasen an:

  1. Phase: Schaffung von Frieden
  2. Phase: Stabilisierung und Übergang
  3. Phase: Entwicklung zu einer außenpolitisch neutralen Ukraine

In der ersten Phase muss Frieden geschaffen werden, dies ist die Basis für alle weiteren Maßnahmen. Dafür muss das Minsker Abkommen durch die unmittelbar (Ukraine, Separatisten) und mittelbar (EU, NATO, USA, Russland) beteiligten Konfliktparteien umgesetzt und eingehalten werden. Ein entscheidender Punkt ist das Stoppen der immer wieder aufflammenden Gefechte an der Front zwischen Militär und Separatisten. Hierfür müssen die Truppen wechselseitig und schrittweise reduziert werden, insbesondere die schweren und weitreichenden Waffen. Dieser Abzug muss zudem effektiv durch die OSZE kontrolliert werden.

Die OSZE als einzige internationale Organisation, in der alle Konfliktparteien derzeit zusammenarbeiten, hat während der ersten Phase eine zentrale Rolle. Sie bietet eine Verständigungsplattform zwischen den Konfliktparteien und zwingt die Mitgliedsstaaten durch das Konsensprinzip, nach tragfähigen Kompromissen zu suchen. Des Weiteren ist die OSZE mit der Beobachtermission bereits involviert und verfügt über geeignete Instrumente an vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen.

Zudem müssen die innenpolitisch relevanten Kräfte, wie die einzelnen Separatistengruppen und Parteien aber auch die Oligarchen, für ein Konzept gewonnen werden, das die Autonomie der einzelnen Regionen fördert und langfristig zu einem föderalen Regierungssystem führt. Dabei müssen auch die außenpolitischen Akteure dem Konzept offen gegenüberstehen und die Umsetzung begleiten. Dies sollte unter der Maßgabe geschehen, dass mittelfristig eine außenpolitisch neutrale Ukraine gegenüber der NATO/EU und Russland entsteht.

Nach dem die Kernaufgabe der 1. Phase, die Schaffung von Frieden, schrittweise erfolgreich umgesetzt wurde und kriegerische Handlungen komplett eingestellt sind, muss es das Ziel sein, den Frieden zu stabilisieren und mit dem Wiederaufbau der Regionen zu beginnen. Der Frieden kann durch eine Stärkung aller ukrainischen Regionen verbunden mit mehr Autonomie und der Einführung einer föderalen Staatsstruktur erreicht werden. Ist über die Ausrichtung der Ukraine ein gemeinsamer Konsens zwischen allen Akteuren ermittelt, so stellt dies auch die Gelegenheit dar, die Sanktionen der europäischen Union gegenüber Russland aufzuheben. Im Gegenzug erlangt die Ukraine die Möglichkeit, sämtliche Außengrenzen des Landes eigenständig und unabhängig zu kontrollieren. Damit der geostrategische Konflikt zwischen der NATO und Russland an dieser Stelle abgeschwächt wird, erklärt die Ukraine ihre Absicht, keine NATO-Mitgliedschaft anzustreben. Ist dies erreicht, verpflichten sich alle Akteure, die Grenzen und die Grenzsicherung durch die Ukraine anzuerkennen.

Eine Entspannung des Konfliktes ist unter der Voraussetzung gegeben, dass die wirtschaftlichen Konflikte zwischen der Ukraine und Russland (z.B. über Gaslieferungen) nachhaltig gelöst werden.

Um die Ukraine und ihre Regionen bei der Entwicklung zu unterstützen, ist die Initiierung eines von der EU/NATO und Russland gemeinsam getragenen Marshallplans ein zielführendes Instrument. Die Regionen erhalten somit Unterstützung und können überfällige Reformen z.B. in der Wirtschaft, im sozialen Bereich oder im Rechtssystem umsetzen. Hierbei wird die Ukraine durch die außenpolitischen Akteure unterstützt.

Sobald die Ziele der Phase 2 erreicht sind, ist es oberste Priorität, die neutrale Haltung von Seiten der Ukraine gegenüber der NATO/Europäischen Union und der Eurasischen Union/Russland zu sichern, damit der Konflikt möglichst langfristig gelöst wird. Wenn die Ukraine sich außenpolitisch neutral verhält, ermöglicht dies eine aktive Zusammenarbeit, sowohl mit der Europäischen als auch mit der Eurasischen Union. Daraus resultierend wird die Ukraine nicht erneut vor die Wahl gestellt werden, sich einer Seite anschließen zu müssen, wie es vor dem derzeitigen Konflikt der Fall war. Gleichzeitig entsteht durch eine außenpolitisch neutrale Ukraine eine Pufferzone in dem geopolitischen Konflikt zwischen der NATO/EU/USA und Russland.

Gelingt die Friedenssicherung im Konflikt und die Stabilisierung der Regionen in der Ukraine, sowie die Initiierung einer föderalen Staatsstruktur mit gemeinsamer Unterstützung aller Akteure, dann sind die Grundlagen für eine außenpolitisch neutrale und innenpolitisch geeinte Ukraine gelegt. Der Staat kann im geopolitischen Konflikt zwischen der NATO und Russland eine Pufferzone einnehmen und durch die aktive Kooperation mit der Europäischen Union, sowie der Eurasischen Union ein Bindeglied in der Zusammenarbeit der beiden Unionen darstellen. Scheitert das Vorhaben in Gänze, ist eine Teilung des Landes unausweichlich.

 

BeimesDegenKonrad Degen und Julian Beimes studieren zusammen „Politik, Verwaltung und Organisation“ in Potsdam und sind beide außenpolitisch interessiert, insbesondere an Themen im Osten Europas, was sich auch durch Konrad Degens Herkunft als Halb-Ungar erklärt.

 

 

5 Gedanken zu “Beitrag: Neutralität als Friedengarantie

  1. Prof. Dr. rer. pol Carl-Heinz Tretner sagt:

    Ich halte die Grundlinie der Überlegungen von Konrad Degen und Julian Beimer für realistisch. Ich habe mehrere Jahre in Kiew gearbeitet und habe seinerzeit nie jemand getroffen, der eine Nato-Mitgliedschaft befürwortet hat. Es gab jedoch ukrainische Politiker, die diese Idee forcierten. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass durch ausländische Einflussnahme ein Konflikt in der Ukraine angeheizt wurde. Auf Initiative der USA sollte auf der Bukarester Nato-Konferenz die Ukraine Nato-Mitglied werden. Wenn ein Land plant, dem mächtigsten Militärbündnis der Welt beizutreten, dann muss es damit rechnen, dass sich seine Anrainer bedroht fühlen. Dann gibt es eine Grenze für Bündnisfreiheit und die Nato hat sich mit ihren Völkerrechtsverletzungen im Kosovo, Irak und Libyen nicht als Heilsarmee dargestellt. Eine Nato-Mitgliedschaft hätte Sewastopol zum Nato-Hafen gemacht und die Verteidigung Russlands entscheidend geschwächt. Ich hatte in meinen Kiewer Jahren den Eindruck, dass die Beziehungen der Ukrainer zu den Russen nicht schlecht waren. Russland gewährte einen erheblichen Rabatt bei den Gaslieferungen, die Ukraine stahl Gas aus den Transitzahlungen und bezahlte seine Rechnungen nicht. Durch das EU-Assoziierungsabkommen entstand für beide Länder ein großer wirtschaftlicher Schaden. Die Ukraine verlor den russischen Absatzmarkt und einen russischen Kredit in Höhe von 15 Mrd. und Russland die ukrainische Rüstungskammer.

    Sind sich einige der Kommentatoren überhaupt bewusst, welche schweren wirtschaftlichen Umstellungen durch das Assoziierungsabkommen auf die Ukraine zukommt. Haben die Menschen zum Zeitpunkt des Maidan gewusst, was in diesem Abkommen stand ? – wurde der Inhalt überhaupt diskutiert ? Es war kein reines Handelsabkommen, wie auch die deutsche Regierung und insbesondere das Auswärtige Amt der deutschen Bevölkerung weismachen wollte, sondern es enthielt eine militärische Komponente, die die militär- und rüstungspolitische Integration der Ukraine in die Gemeinsame Sicherheit- und Verteidigungspolitik der EU vorsah (Art. 10).

    Die Ukraine hat eine Chance ein wichtiges Verbindungsglied zwischen West und Ost neu werden, aber nicht ohne Neutralitätserklärung. Das ist der Schlüssel zum Frieden in der Ukraine.

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  2. Taras Levchenko sagt:

    Das ist ja alles ziemlich naiv und an der Realität vorbei. Relativierung pur, inzwischen bestehen mehrere Möglichkeiten, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, die Autoren des vorgeschlagenen Konzeptes verkennen Tatsachen und blenden ja einiges aus. Der Vorschlag mit der russischen Sprache zeugt von einer absoluten Unkenntnis davon, wie die sprachliche Situation vor Ort aussieht. Dass das berühmte „Sprachproblem“ in Wirklichkeit gar nicht existiert, scheinen die Autoren nicht zu wissen. Wenn Sie weder des Russischen noch des Ukrainischen mächtig sind, könnten Sie auch mal ein paar Bücher außerhalb des „russländischen Propagandakosmos“ lesen.
    Ferner hätte ich eine große Frage: wie definieren die Autoren des Konzepts die Ost- und Westukraine, wo liegt Ihrer Meinung nach die „Sollbruchstelle“ des Konflikts, wonach wird diese gezogen, geografisch, nach der Sprache oder ethnische Zugehörigkeit? Ein saloppes dahingeworfenes „West- und Ostukraine“ reichen leider nicht. Und bitte auch erklären, warum soll die Grenze ausgerechnet so verlaufen? Haben die Autoren auch mal die Stimmung im Lande untersucht, will das ukrainische Volk überhaupt neutral sein? Oder wird diesem mal wieder das Recht auf selbstständige Entscheidungen abgesprochen? Haben die Autoren untersucht,wie diese Stimmung vor dem Krieg und vor der Revolution aussah?
    Und nur ein Beispiel, zum Punkt „Frieden schaffen“ – Russland als einen mittelbaren Akteur in eine Reihe mit der EU und NATO zu stellen, ist einer der größten Fehler. Um mal einfach deutlich zu werden: weder die EU noch Nato haben irgendwelche Grenzgebiete Russlands oder der Ukraine beschossen und bombardiert, weder die EU noch NATO haben Truppen in die Ukraine entsendet, um Verwaltungsorgane zu besetzen und Gebiete zu anektieren. Die Autoren der „Friedenskonzepte“ verkennen, dass Russland nicht nur eine unmittelbare Kriegspartei ist, sonder auch ein Auslöser des Krieges ist. Ohne dieses „Basiswissen“ sind jegliche Diskussionen über die Lösungsansätze sinnlos. Und man könnte sich auch mehr mit der Situation in Russland beschäftigen, in dem man sich an die russischen Schriftsteller und Intellektuelle wendet und ihre Essays, Artikel und Bücher liest (Jerofjejew, Politkowskaja, Schenderowitsch, Alexejewitsch um ein paar zu nennen). Wenn man sein Wissen aus den Quellen wie Krone-Schmalz schöpft, kommt dabei leider nichts Gutes heraus. Das Ganze ist natürlich nur eine subjektive Meinung von mir, eines unmittelbaren Zeitzeugen, eines russischsprachigen

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  3. Christian Chemnitzer sagt:

    „Dafür muss das Minsker Abkommen durch die unmittelbar (Ukraine, Separatisten) und mittelbar (EU, NATO, USA, Russland) beteiligten Konfliktparteien umgesetzt und eingehalten werden.“ Wer nicht weiß, dass Russland unmittelbare Konfliktpartei ist beweist einer derartige Unkenntnis der Situation, dass er sich nicht anmaßen sollte, Analysen zu schreiben. -> Papierkorb

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  4. Trojanda sagt:

    Nein!
    Das wird nicht funktionieren. Das Rus.-d wird die Ukraine sofort verschlucken.
    Die Ukrainer haben schon mal dem Westen und dem Rus.-d geglaubt, haben ihre Atomwaffen vernichtet und Budapester Memorandum im Jahr 1994 unterschrieben.
    Was darauf geworden ist – sehen wir jetzt! 10000 Menschen sind tot!!! Und sterben immer noch!!!
    Wo sind die Garantien der Unabhängigkeit? Wer hat die ukrainische Grenzen verteidigt?
    Nur die Ukrainer selbst! Ohne Waffen, ohne Kleidung. ..

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  5. Denise Viktoria Pelzer sagt:

    Solche Vorschläge kommen meist von Menschen, die von dem System, dem Land und noch weniger von den Menschen, dem Willen der Menschen Ahnung haben, begriffen haben, worum es geht. Wenn ich schon im ersten Kommentar schon lese: „..und Russisch als zweite Staatssprache..“, fasse ich mir schon an den Kopf. Das kann nur von Menschen kommen, die immer noch nicht begriffen haben, dass in der Ukraine ohnehin seit Jahrzehnten Russisch gesprochen wird, jeder Ukrainer in der Schule Russisch lernt. In Russland gibt es aber keine einzige ukrainische Schule.. uups „wink“-Emoticon
    Julia Trojanda dagegen hat einen wichtigen Satz geschrieben, der ganz wichtig ist: ..“Budapester Memorandum..“
    Die Ukraine hat einmal diesen Fehler gemacht und wird ihn ganz sicher kein zweites mal machen. Ebenso vergisst man nun, dass sich Russland mit dem Krieg in der Ukraine, das Töten von über 9000 Menschen, diese ständige Propaganda, nun auch in Deutschland, gegen Deutschland, alles andere als Freunde gemacht hat, sprich man will mit Russland nichts und nie wieder etwas zu tun haben. Dann der Satz: „von der EU/NATO und Russland gemeinsam getragenen Marshallplans..“ sehr lustig. Die EU, der IWF haben bereits unzählige Millionen in die Ukraine gesteckt, also läuft bereits eine Art Marshallplan. Vielmehr sollte nun Russland knallhart in die Pflicht genommen werden. Für die angerichteten Schäden, für die Annektion der Krim, für das Tören der Menschen. Russland sollte international dafür haftbar gemacht werden, mit über 30 Milliarden Dollar, ohne Rückzahlung der Summe versteht sich. Und Eure „Pufferzone“ werden die Menschen in der Ukraine niemals akzeptieren. Die Menschen haben mit dem Maidan gegen die Korruption, für europäische und westliche Werte protestiert und gekämpft.

    Mein Vorschlag ist vielmehr: Anstatt solche sinnlosen Dinge von sich zu geben und über Dinge zu schreiben, wovon man kaum Ahnung hat, sollte man lieber Russland international mit härteren Sanktionen zu Boden drücken, vor internationale Gerichte ziehen, die wahren Beweise von MH17, Krieg in der Ostukraine etc. auf den Tisch legen, anstatt diese wischiwaschi Politik von Deutschland und USA. Dann werden auch Menschen in Russland immer mehr aufstehen, wach werden und werden genauso wie in der Ukraine mit einem Maidan gegen den Kreml, gegen Putin vorgehen. Den Menschen in Russland geht es noch nicht schlecht genug, neben der Tatsache, dass bekanntlich im russischen TV jeden Tag falsche Tatsachen vorgelogen werden.

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